Diese Rubrik enthält eine Sammlung von Liedern und Gedichten des ehemaligen deutschen Ostens.
Land der dunklen Wälder
und kristall’nen Seen,
über weite Felder
lichte Wunder geh’n.
Starke Bauern schreiten
hinter Pferd und Pflug,
über Ackerbreiten
streift der Vogelzug.
Und die Meere rauschen
den Choral der Zeit,
Elche steh’n und lauschen
in die Ewigkeit.
Tag ist aufgegangen
über Haff und Moor,
Licht hat angefangen,
steigt im Ost empor.
Text: Erich Hannighofer
Melodie: Herbert Brust
Abends treten Elche aus den Dünen
ziehen von der Palve an den Strand.
Wenn die Nacht, wie eine gute Mutter
leise deckt ihr Tuch auf Haff und Land.
Ruhig trinken sie vom großen Wasser,
darin Sterne wie am Himmel stehn
Und sie heben ihre starken Köpfe
lautlos in des Sommerwindes Wehn
Langsam schreiten wieder sie von dannen,
Tiere einer längst vergangnen Zeit.
Und sie schwinden in der Ferne Nebel
wie im hohen Tor der Ewigkeit
Text: Heinrich Eichen
Melodie: Gerd Lascheit
Zogen einst fünf wilde Schwäne,
Schwäne, Schwäne leuchtend weiss und schön.
Sing, sing, was geschah?
Keiner ward mehr gesehen, ja!
Sing, sing, was geschah?
Keiner ward mehr gesehn.
Wuchsen einst fünf junge Birken
frisch und grün an Baches Rand.
Sing, sing, was geschah?
Keine in Blüte stand, ja!
Sing, sing, was geschah?
Keine in Blüte stand.
Zogen einst fünf junge Burschen
kühn und stolz zum Kampf hinaus.
Sing, sing, was geschah?
Keiner kehrt nach Haus, ja!
Sing, sing, was geschah?
Keiner kehrt nach Haus.
Wuchsen einst fünf junge Mädchen,
schlank und schön am Ostseestrand.
Sing, sing, was geschah?
Keine den Brautkranz wand, ja!
Sing, sing, was geschah?
Keine den Brautkranz wand.
Text und Melodie: Richard Faltin
O kalt weht der Wind über leeres Land,
O leichter weht Asche als Staub und Sand!
Und die Nessel wächst hoch an geborstener Wand,
Aber höher die Distel am Ackerrand!
Es war ein Land, – wo bliebst Du, Zeit?
Da wogte der Roggen wie See so weit,
Da klang aus den Erlen der Sprosser Singen
Wenn Herde und Fohlen zur Tränke gingen,
Hof auf, Hof ab, wie ein Herz so sacht,
Klang das Klopfen der Sensen in heller Nacht.
Und Heukahn an Heukahn lag still auf dem Strom
Und geborgen schlief Stadt und Ordensdom,-
In der hellen Nacht , – der Johannisnacht!
Es war ein Land, – im Abendbrand
Garbe an Garbe im Felde stand.
Hügel auf, Hügel ab, bis zum Hünengrab
Standen die Hocken, brotduftend und hoch,
Und drüber der Storch seine Kreise zog.
So blau war die See, so weiß der Strand
Und mohnrot der Mond am Waldesrand
In der warmen Nacht, – der Erntenacht!
Es war ein Land, – der Nebel zog
Wie Spinnweb, das um den Wacholder flog,
Die Birken leuchteten weiß und golden,
Und korallen die schweren Quitschendolden,
Die Eicheln knirschten bei Deinem Gehen
In den harten Furchen der Alleen.
Ein Stern nur blinkte, fern und allein,
Und Du hörtest im Forst die Hirsche schrein
In der kalten Nacht, – der Septembernacht
Es war ein Land, – der Ostwind pfiff,
Da lag es still wie im Eis das Schiff.
Wie Daunen deckte der Schnee die Saat
Und deckte des Elchs verschwiegenen Pfad,
Grau fror die See an vereister Buhne.
Und im Haff kam Fischer und Fisch zur Wuhne.
Unter warmem Dach aus Stroh und Ried,
Klappte der Webstuhl zu altem Lied:
"Wi Beid', wie sönn noch jong on stark,
Nährn ons möt eigne Hände, -"
Und war ein Land, - wir liebten dies Land -
Aber Grauen sank drüber wie Dünensand.
Verweht wie im Bruch des Elches Spur
Ist die Fährte von Mensch und Kreatur, -
Sie erstarrten im Schnee, sie verglühten im Brand,
Sie verdarben elend in Feindesland,
Sie liegen tief auf der Ostsee Grund,
Flut wäscht ihr Gebein in Bucht und Sund,
Sie schlafen in Jütlands sandigem Schoß, -
Und wir Letzten treiben heimatlos,
Tang nach dem Sturm, Herbstlaub im Wind, -
Vater, Du weißt, wie einsam wir sind!
Nie zu klagen war unsre Art,
Du gabst und Du nahmst, - doch Dein Joch drückt hart!
Vergib, wenn das Herz, das sich Dir ergibt,
Nicht vergißt, was zu sehr es geliebt,
Was Gleichnis uns war - und noch bleibt im Leid, -
Von Deines Reiches Herrlichkeit!
O kalt weht der Wind über leeres Land,
O leichter weht Asche als Staub und Sand!
Und die Nessel wächst hoch an geborstener Wand,
Aber höher die Distel am Ackerrand!
Agnes Miegel
Um Allerseelen
In der dunklen Nacht,
Wenn vor uns stehen,
Die immer neu unserem Herzen fehlen, –
Erinnrung erwacht
An die alten Kirchen, die Hügel im Feld,
Wo sie schlafen, Vätern und Nachbarn gesellt,
In verlorener Heimat über der See, –
Und an alle, die hilflos und einsam starben,
An alle, die sinkend im Eis verdarben,
die keiner begrub, nur Wasser und Schnee,
Auf dem Weg unsrer Flucht, – dem Weg ohne Gnade!
Und wir ziehen im Traum verwehte Pfade
Wagen an Wagen, endloser Zug –
Der ein Volk von der Heimat trug!
Von Norden, von Osten kamen wir,
Über Heide und Ströme zogen wir,
Nach Westen wandernd, Greis, Frau und Kind.
Wir kamen gegangen, wir kamen gefahren,
Mit Schlitten und Bündel, mit Hund und Karren,
Gepeitscht vom Wind, vom Schneelicht blind, –
Und Wagen an Wagen.
Zuckend wie Nordlicht am Himmel stand
Verlassner Dörfer und Städte Brand.
Und um uns heulte und pfiff der Tod,
Auf glühendem Ball durch die Luft getragen.
Und der Schnee wurde rot.
Und es sanken wie Garben, die hilflos starben.
Und wir zogen weiter,
Wagen an Wagen, – –
Und kamen noch einmal, trügrisches Hoffen,
Durch friedliches Land.
Tür stand uns offen
Bei jenen, die nicht unser Leiden gekannt.
Sie kamen, sie winkten, sie reichten uns Brot, –
Sie luden die Not
Am warmen Herde zu sich als Gast.
Scheune und Stroh rief Müde zur Rast.
Doch wir konnten nicht bleiben.
Wir zogen vorüber,
Wagen an Wagen.
Und hörten durch Sturm und Flockentreiben
Das Glockenlied ihrer Türme noch
Und hörten doch
Das Dröhnen des Krieges, der hinter uns zog.
Und vom Wegkreuz bog,
Blutend, mit ausgebreiteten Armen,
Sich dorngekrönter Liebe Erbarmen.
Wir konnten nicht halten, wir konnten nicht knien.
Sie kamen hinter uns, Wagen an Wagen, –
Unsre Herzen nur schrien:
O blick nach uns hin!
Wir wandern, wir wandern, endloser Zug,
Volk, das die Geißel des Krieges schlug ,
Entwurzelter Wald, von der Flut getragen, –
Wohin?
Wohin? – – –
Agnes Miegel